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An Alle, 26. Oktober 2018, Uvira, Ost-Kongo

Liebe alle! Ich bin im Kongo, man glaubt es nicht! Ich habe mich am 14. Oktober von Viktor in Basel-Mullhouse verabschiedet und war zwei Stunden später in Amsterdam. Ich habe mich einen Monat zuvor im Reisebüro am Äschenplatz erkundigt, dass auch Behinderte in der Zeit umsteigen können, und die Dame hat gesagt, ja, es steht extra drauf, auch Behinderte. Also habe ich "vertraut" und bin ... hängengeblieben! Wer da Schuld ist weiss ich nicht, aber ich sicher nicht. Immerhin habe ich gut geschlafen, und vermutlich gehe ich auch jetzt nicht verloren. Man passt auf mich auf.. Ich fliege einen Tag später. Hmm, Behinderte als Beigemüse? Wie in Kongo? Ich überlege mir eine Regressforderung. Kämpfen oder untergehen!

16. Oktober: Ich bin 24 Stunden zu spät aber heil angekommen. heute haben wir einen Ausflug in die neue Blindenschule gemacht. Die Schweiz und Kongo sind wie Tag und Nacht!

19.  Oktober: Heute blieben wir, jedenfalls vorläufig, "zuhause. Ich habe wenig geschlafen und viel an das gedacht, was man anpacken sollte oder könnte, um dem kongolesischen Volk wieder aufzuhelfen. Es gibt zwar eine örtliche "Polizei", ein "Militär", Lehrer und Lehrerinnen, Heilpädagogen und andere staatlichen  Posten, aber der Staat zahlt keine Löhne mehr. Der Staat und die Bevölkerung sind - teilweise aus Not, teilweise aus immer mehr um sich greifender Gier  - sehr korrupt. Die Polizisten und das Militär machen gemeinsame   Sache oder sie bekriegen sich wie es die Oberen befehlen. Die Kongolesen werden ausgebeutet, und wenn es nichts mehr zu holen gibt, dann setzen sich der Präsident und seine Leute ab oder sie werden ermordet.

20. Oktober: Jetzt bin ich einigermassen ausgeschlafen. Es ist Samstag. Auch jetzt ist nichts äusserlich aufregendes passiert, aber die Gespräche sind interessant. Wenn Masemo wieder da ist – er hat sich hingelegt, weil er wieder einmal Malaria hat -, dann will ich wissen, was er für sich als Berufswünsche hat. Es gibt viel zu tun in Uvira und wenn er wirklich vertrauensvoll ist, why not den Anstellen.

Ich will bei AVA sehen was in Sachen ärztlicher Begleitung zu machen ist. Ein jüngerer Bruder von Masemo hat einen aufgeblasenen Bauch wie ich ihn vielleicht zwei oder dreimal in Indien gesehen habe. AVA hat beschlossen der Schule und den älteren Blinden zu helfen. Da stecken sie die 8.000 Dollar im Jahr rein. Ärztliche Betreuung ist da Luxus. Ich finde, Nein, auch wenn das zusätzlich Geld kostet! Baleke, ein jüngerer Bruder von Masemo, hat schmerzen in der Leistengegen, die nicht weggehen wollen, obwohl er ein halbes Jahr lang irgendwelche Tropfen genommen hat. Darum werden wir wahrscheinlich am Dienstag ins Spital  gehen. Ich werde mir das Spital ansehen und mit einigen Ärzten und Schwestern reden. Falls sie Interesse an den blinden Menschen haben, dann  wäre es ein medizinischer Anfang

Ich möchte auch Hilfsprojekte besuchen, die ähnliches tun wie ich. Da gäbe es vielleicht auch wirklichen Austausch. Chor wie einer der Brüder von Masemo erzählt hat, ältere Blinde Spazierenführen, abholen und heimbegleiten von blinden Menschen, zum Arzt bringen usw.  Dann überlegen, wie man Blindenschriftbücher, gewöhnliche Bücher und Audiobücher und –Musik in einer Bibliothek   ausleiht.

A propo Velo-Rollstühle: Die Kupplung ist viel zu lang, dafür ist der Teil der das Velo mit dem Rollstuhl verbindet ungefähr 40 CM zu kurz. Stange aussen befestigen mit zwei oder drei Briten. Die Stange muss verstellbar sein, damit die Menschen auch laufen anstatt Velofahren können. Die Querstange muss ungefähr 20 CM auf beiden Seiten breiter sein, dass auch zwei Menschen ziehen  können. Optional ist ein Rollstuhl der nur noch in der Mitte mit dem Rollstuhl verbunden ist.   Wenn es hoch und runter geht kann der Rollstuhl ausgleichend schwingen. Das ist wichtig, weil der im Rollstuhl sitzende immer gerade sitzt.

Blindenschriftmaschine anstatt Stachl. Computer und Sprachausgabe. Alles ist wichtig; Computer und Sprachausgabe sind nicht so leicht zu finden; Blindenschrift ist darum immer noch wichtig, und wenn der Strom  ausfällt dann ist man am Arsch! Darum: wer eine alte Blindenschriftmaschine im Keller hat, die Kinder und Erwachsenen in Uvira sind dankbar für alles, auch für Blindenschriftmaschinen!

23. Oktober: Ja, einen Computer anschaffen, aber wie? Johanna ist sehend, und ist Direktor der Ecole Aveugle, weil sie auch Kontakt mit dem Staat haben müssen. Ich habe eigentlich einen Computer zu viel da. Ich werde ihn fragen, und wenn er sich mit Computern einigermassen auskennt, dann gebe ich ihn Johanna.

Im "Vorstand" des AVA haben wir auch davon gesprochen, dass man wieder einmal öffentlich auf die AVA und seine Aktivitäten aufmerksam machen sollte. Ich höre die Menschen schon sagen, ja ja, aber der Transport! AVA hat jetzt 28 Mitglieder, warum nicht 40 oder 100! Wenn die Fahrkosten nicht wären, dann kämen vielleicht 100 oder 200 Menschen! Ich vermute, dass es ungefähr 50 Dollar sind, aber auch 100 Dollar  für den Transport könnte ich beisteuern, wenn ich das Gefühl habe, es lohnt sich für die Blinden und die sehenden. Man hätte vielleicht auch eine ungefähre Zahl von Blinden und mehrfach behinderten in Uvira.  In der Verwaltung sind vielleicht auch Menschen, die etwas für Blinde und Mehrfachbehinderte tun wollen!

Was aber das wichtigste in der "Vorstandsittung" für mich war, das ist wie gesund oder krank bin ich. Johanna, der sich ein bisschen auskennt, denkt, sie können eine medizinische "Selbsthilfe"-Gruppe bilden. Dann  kann jeder zum Arzt gehen, wenn er oder sie Schmerzen hat. Es wäre eine Art Versicherung gegen Krankheit. Das wäre besser als Einmal untersucht zu werden und dann kein Geld mehr zu haben, andere Untersuchungen zu machen. Das hätte allerdings zur Folge, dass man jährlich eine bestimmte Summe zahlen müsste und das wäre nicht realistisch. Ich habe nur Ansatzweise begriffen, aber was Johanna erzählt, leuchtet mir ein. Die AVA könnte die Grenze der Versicherung bilden, also hat es einen zusätzlichen Wert, der AVA beizutreten. Darsilamano würde den Hauptteil oder die ganze jährliche Versicherung übernehmen.

Auch für mich ist gesorgt, jedenfalls theoretisch! Ich hätte Lust auf einem  alten Liegestuhl auf der Terrasse auszuruhen! Aber wie kann ich anderen klar machen, was ich will? Ich habe auch Lust, mich im Hof und der provisorischen Küche umzusehen, weil ich wissen möchte, was für Nahrungsmittel oder Geräte in der Blindenschule noch da sind. Aber ich bin blind und im Rollstuhl, ich verstehe Französisch, aber französisch zu sprechen ist eigentlich nicht möglich. Masemo kann ganz gut Französisch, aber es ist ein kongolesisches Französisch! Auch englisch kann er, aber am Schluss sagt er "ich verstehe nicht" oder spricht von ganz anderem. Er ist ganz sicher, dass ich genau das wollte, und ich wollte eigentlich was ganz anderes. Wenn ich noch einmal, natürlich wieder auf Englisch, erklähre, hört Matemo wieder das, was er meinte, zu hören. Am Schluss sagt er, dass er nicht so gut Englisch kann! Es ist jetzt klar, aber Klarheit hat eigentlich nur klargemacht, dass wir uns nicht verstanden haben.

Alains englisch ist viel besser. Aber Alain geht am Samstag zurück nach Butembo. I'm able to talk in english. But in french, no, se pas possible! All das lässt mich ratlos zurück! Wenn ich mehr Energie habe, dann ist es manchmal auch lustig, wie wir aneinander vorbeireden und am Schluss haben wir uns trotzdem verstanden, aber die  Energie habe ich nicht immer!

Das ist für den   anfang genug! - Ganz gute Zeit wo immer ihr seid! Martin! -  Ihr könnt euch ganz viele Bilder zusammenfantasieren, aber reelle Fotos gibt's (noch?) nicht!