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An die Ecole d’Humanite, 11. Februar 1991, Basel

Hallo ihr! Ich habe von Eurem heutigen Treffen gehört. Da ich selbst nicht kommen kann, aber doch auch zu dem Kreis derer gehöre, die vor einigen Monaten als potenzielle LeiterInnen der Ecole genannt wurden und nicht gleich "nein" gesagt haben, möchte ich euch wenigstens kurz schreiben, wo ich in der Sache zur Zeit stehe. Ja, wo? - Am Rand der Schule, mit etwas mehr Beziehungen in die Schule hinein als vor 6 oder 10 Monaten, aber doch nach wie vor am Rande.

Ich habe damals nicht gleich "nein" gesagt, weil mich "Pädagogik" wirklich interessiert und weil ich immer wieder ganz fasziniert bin von der Ecole, allerdings weniger von der Ecole, wie ich sie meistens erlebe, sondern mehr von der Ecole, wie sie auch sein könnte. Ich hatte oft das Gefühl, für die Ecole zu "radikal" zu sein; in den letzten paar Monaten bin ich in dieser Sache wieder unsicherer geworden: vielleicht ist unter euch und den andern Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mehr Sympathie und Einverständnis für meine Vorstellungen und Träume vorhanden als ich denke -, vielleicht. Ich bin nicht sicher und wir haben wenig Gelegenheit, dies festzustellen. Ich bin in diesem Zusammenhang auf das gespannt, was in den nächsten Monaten vor allem auch in der Arbeitsgruppe über "elementare Erlebnisse" geschieht.

Wenn ich an der Leitung der Ecole beteiligt wäre, so möchte ich mit der Schule "weiter", in Richtung "elementare Erlebnisse", Lebens- und Lerngemeinschaft statt Internat oder (wie Geheeb noch sagte) Anstalt gehen, . Ich sehe, was das an Arbeit und Komplikationen mit sich bringen würde, und ich spüre, wie viel Geduld und Durchhaltevermögen meinerseits, aber auch wie viel Vertrauen in mich und wie viel Vertrautheit untereinander ein solches "Weiter" braucht. Das müsste wachsen, sich bewähren und sich entwickeln können ... Wie kann es das, wenn ich Euren Alltag und Eure Arbeit kaum Teile und ihr auch von meinem Alltag und meiner Arbeit kaum etwas wisst? Insofern ist meine "Kandidatur" also etwas unrealistisch. Ich werde bis auf weiteres auch kaum mehr auf dem Hasliberg sein. In ca. einem Jahr bin ich vielleicht wieder freier (ich hoffe es sehr!), doch meist habe ich das Gefühl, dass ich dann etwas ganz anderes tun, nocheinmal ganz heraus aus dem Gewohnten will. - Dennoch: ein Bisschen bin ich vorläufig noch da; will insbesondere im Austausch über "elementare Erlebnisse" weiter dabeisein, und wer weiss, was in anderhalb oder zwei Jahren ist. Ich möchte meinen Namen also vorläufig mal im "Spiel" lassen, auch wenn die Zeichen zur Zeit eher in Richtung "nicht ich" zeigen.

Mit wem ich mir eine gemeinsame Leitung vorstellen kann -, darüber mache ich mir kaum Gedanken. Interessieren würde mich viel mehr, wer (oder welche zwei oder drei Menschen) sich eine Leitung mit mir vorstellen können. Was auf mich zukommt beeinflusst häufig sehr stark meine eigene Einstellung zu einer Sache.

Das wär's. Ich hoffe, bei einem nächsten Gespräch wieder life mit dabeisein und dann vielleicht auch noch mehr über mich, meine Bedenken, meine Lust etc. sagen zu können. Sehr froh wäre ich, wenn ihr ein zusammenfassendes Protokoll von dem, was ihr euch mitteilt, machen und mir ein Exemplar schicken würdet. Ich bin an dem, was sich entwickelt, sehr interessiert.

Herzliche Grüsse und bis in ca. 14 Tagen!