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An Gilles H., 30. April 2010, Fribourg

Hi Gilles! Ein guter Mensch ... das ist nicht gut genug, ja es kann sogar gefährlich sein. Lasst uns deshalb auf die bösen Menschen anstossen, auf ihre Ungläubigkeit und ihre Destruktivität, auf dass wir  lernen gut und schlecht zu sein ... Huk, ich habe gesprochen!

Ich tummle mich heute in Fribourg, helfe eine Wohnung im Haus von Urs und Pina ausräumen. Viel Arbeit ist's wohl nicht, aber der Tag wird vielleicht dennoch lang. Im übrigen stecke ich immer noch in den Rossbreiten fest und warte auf Wind. Hie und da hatten wir schon das Gefühl, ein Wölklein am Horizont zu sehen, doch bis jetzt war die Aufregung immer nur von kurzer Dauer. Noch hält sich die Mannschaft gut, doch ihre Unruhe und Angst nimmt zu. Nur diejenigen, die die Rossbreiten schon oft durchfahren haben, tragen alles mit stoischer Ruhe. Die andern wollen Action, laufen auf und ab, rauchen und saufen mehr als gewöhnlich ... Noch immer ist alles im grünen Bereich, doch wie gesagt, die Unruhe nimmt zu.

Man meinte zB einmal, nach Afrika fahren und den schwarzen Kontinent erforschen zu wollen. Die Aufregung an Bord war gross. Alles ist hin und her gelaufen und dann war doch nichts, nur wieder der immer gleiche blaue Himmel und das leblose Wasser ... Ein andermal war es die Idee eines Hauses, die am Horizont auftauchte. wieder grosse Aufregung, grosses Gelaufe an Deck und dann verzog sich auch diese Wolke. Jetzt haben wir die Ruderboote zu Wasser gelassen. Gibt den Menschen wenigstens die Illusion, etwas zu tun, auch wenn der praktische Nutzen natürlich sehr gering ist, denn wo sollen sie uns hinschleppen, und dann: die sechs oder sieben Meilen, die sie am Tag schaffen, schafft ein Wind, wenn er denn endlich kommt, in zwanzig Minuten. Doch sie spüren ihre Kräfte und tun was. Das ist wichtig: Auch wenn es keine Lösung ist, so ist es doch eine Aufgabe! In diesem Sinn hab ich befohlen, nach Berlin zu fahren, und das tue ich denn auch, am 25. Mai für eine Woche oder etwas länger ... Endlich wieder on the road! Auch wenn es nicht das Eigentliche ist, so dient es doch zur Belebung, und irgendwann wird diese Flaute eine ferne Erinnerung sein, eine Erinnerung, die uns paradiesisch vorkommen wird, wenn wir von Böhen geschüttelt von Wellental zu Wellental stürzend mit krachenden Masten meinen, untergehen zu müssen im Sturm des Lebens.

In solch Worte kleidete er sein Befinden und schickte sie, weil ihn ein dringend Bedürfnis jählings ergriff, alsbald hinaus in die Welt, wo Gilles der ärmste lesend sass und sich, etwas verschlafen noch, am Kopf kratzt und nicht so recht weiss ...

In diesem Sinn bis bald! On va se téléphoner,

Martin