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An Pascal X., 17. März 1997, Ojai, Kalifornien

Caro Pascuale! Hei Du, wie läbsch eso? - Ich bin jetzt die dritte Woche in Ojai, wo ich in Rückzug und Meditation lebe, viel lese und schreibe und mich mit der Zukunft der Menschheit, dem Internet, befasse.

Dieses "Internet" ist wirklich eine eigenartige Sache -, eigenartig, wie da (innert kürzester Zeit) ganz neue Formen der Kommunikation auftauchen und sich verbreiten. Wenn man sich einigermassen auskennt mit dieser Technologie und die Möglichkeiten des Internet einigermassen schlau benützt, dann  kann man damit viel machen: Einkaufen, Briefe um die ganze Welt verschicken, Bücher lesen, Filme schauen, die Kritiken der neuesten Mozartbiographie studieren, ein Buch veröffentlichen ... Es kann durchaus sein, dass sich viele Menschen in ein paar Jahren gar nicht die Mühe machen, irgend einen Artikel oder etwas derartiges in einer Zeitung unterzubringen, da das viel aufwendiger und langsamer it. Man kann seine Dinge einfach im Internet platzieren und dort kann es von der ganzen Welt (allen PC-BesitzerInnen heisst das) gelesen werden ...

Das Ojai Institut, in dem ich seit zwei Wochen wohne und lebe, ist ein sehr friedlicher, komfortabler Ort, eine Art Studienzentrum oder Kleinsthotel für Leute, die ein wenig für sich sein und in sich gehen wollen. Die 10 Gäste (wenn das Institut voll ist könnten es etwa 20 sein) leben in vier kleinen Cottages zwischen vielen grossen Eukalyptusbäumen. Ich habe viel Ruhe und Zeit für mich hier, und doch treffe ich auch immer wieder neue, teilweise recht interessante und sympathische Menschen. Zu den Abendessen kommen meist irgendwelche Gäste von auswärts, so während der letzten Woche einige Male ein Iraner, Gholam, in den ich mich geradezu ein wenig verliebt habe. Vielleicht weniger in ihn als in seine Lebendigkeit, sein Temperament. Ansonsten ist in Sachen Liebe, Sex und Zärtlichkeit  bisher kaum etwas gelaufen. Ich lebe wie ein alter Weiser oder ein Mönch und es geht mir meistens sehr gut damit.

Ich war innerlich in den ersten Wochen meiner Reiserei oft in der Schweiz und habe mich sehr über all die guten Dinge und die lieben Menschen gefreut, die ich dort habe -, habe mich aber auch oft etwas wehmütig gefragt, weshalb ich eigentlich überhaupt weg bin von dort! Seit ich in Kalifornien bin, also seit 4 oder 5 Wochen, ist die  "Heimat" etwas in den Hintergrund getreten. Ich lebe mehr in der Gegenwart. Etwas wirklich spektakuläres ist bis jetzt allerdings nicht passiert; ich bin auch hier sehr stark der Mensch, der ich zuhause bin. Die grosse innere Veränderung, die neuen Erkenntnisse  oder Gefühle, die innere Erneuerung - all dies lässt vorläufig auf sich warten. Die Ähnlichkeit der Kultur macht es auch einigermassen leicht, mich innerlich nicht gross zu verändern, sondern mein altes Leben einfach hier weiterzuführen. Ob sich dies in den nächsten Monaten noch ändern wird, wird sich zeigen.

Ich werde noch bis zum 26. März hier sein; dann ziehe ich vermutlich weiter in Richtung Norden - San Francisco -, vielleicht kehre ich auch noch einmal nach San Diego zurück (5 Stunden südlich von hier).

Dort war ich im Februar für zwei Wochen - 100 Meter vom pazifischen Ozean entfernt - bei einer guten Freundin von mir. Norden oder Süden - man wird sehen. Jetzt gehe ich mal rüber in die Küche, um mir ein wenig zu essen zu machen. Ich bin eben erst aufgestanden, und bald kommt Micheal, mein Internet, Email, Alta-vista-Lehrer.

Die Doppel-CD, welche ich Dir hier schicke, ist eine Leihgabe. Wenn ich wieder in Basel bin, dann hätte ich sie gerne. Doch bis dahin brauche ich sie ja nicht auf meinem Buckel durch die ganze Welt zu schleppen. Ich wollte die CD ursprünglich Cathrin (meiner Freundin in San Diego) schenken; dann hat mir die Musik (vor allem Prokofiev) so gut gefallen, dass ich beschlossen habe, ihr eine andere CD zu schenken und diese für mich zu behalten. Ich wünsche Dir viel Spass und Genuss beim Hören!

Tja. Im Übrigen hoffe ich natürlich, dass es Dir wunderbar gut gehe! Ich wünsche Dir viel Energie für die bevorstehenden Prüfungen! Hoffentlich bist Du in Form und hoffentlich klappt es diesmal! Oder hast Du inzwischen vielleicht beschlossen, einen anderen Weg einzuschlagen? Pina hat mir in den letzten Wochen nur sehr wenig von Dir erzählt -, gerade so viel, dass ich weiss, dass es Dich noch gibt! Aber Wie gibt es Dich? Bist Du heiter? Gefrustet? Zuversichtlich? ... Und die Liebe? O, Pina hat etwas von einem Doktor in Riehen erwähnt - wieder nichts? - hhmmm.! Tja. Und jetzt? bist Du jetzt auch ein Mönch geworden? Oder ... Sag, wie geht es in Deinem Herzen?

Ich hoffe, dass Du noch immer an der Ramsteinerstrasse sein wirst, wenn ich - vermutlich im August oder September - wieder zurück bin (vielleicht auch schon Juli). Ich habe unsere Nachbarschaft sehr genossen, und ich freue mich auf mehr davon! - Für heute sei ganz herzlich umarmt und gegrüsst! Ich muss was Essbares finden! Vielleicht schreibe ich noch einmal mit etwas mehr Ruhe und Konzentration -, nicht so gehudelt, wie heute. Ciao bello! Mach's gut! Leb wohl! - Bitte grüsse auch Beatrice ganz ganz herzlich von mir!