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An Renzo C., 29. Dezember 1998, Basel

Lieber Renzo! Vor anderthalb Jahren ungefähr haben wir uns darauf geeinigt, unsere Beziehung etwas „lockerer" zu gestalten -, nicht mehr so sehr im Traum oder in der Hoffnung einer  „Zweierbeziehung" zu leben, sondern „das miteinander zu tun, was wir gut zusammen tun können ...". Du erinnerst Dich an unser Gespräch und das kleine Ritual damals, im Dalben Loch, kurz nachdem ich von den USA zurück gekommen bin. – Ich habe mich auf diesen „Kompromiss" eingelassen, weil Du mich so sehr darum gebeten, so sehr um den Kontakt zu und mit mir gekämpft hast. Jetzt scheint mir jedoch der Augenblick gekommen und ganz zu trennen, denn ich merke, dass ich das, was wir damals, vor anderthalb Jahren, vereinbart haben, nicht kann und vielleicht auch nicht können beziehungsweite lernen will.

Ich weiss, dass ich dies und das von  Dir nicht erwarten sollte -, ich weiss, dass ich Dir mit dieser Erwartung nicht gerecht werde und dass auch ich nur auf eine neue Enttäuschung zugehe, wenn ich meine Erwartungen nicht den „neuen Realitäten" anpasse ... Und doch: Es geht nicht. Ich erwarte von Dir immer wieder eine Art der inneren Resonanz, des inneren Mitgehens und Anteilnehmens, welches Dir nicht entspricht: Ich erwarte von Dir etwas, was vielleicht nicht in Dir ist! Ich sehe es, ich sehe, wie es Dich und mich unglücklich macht; ich weiss, dass ich diese Art des Mitschwingens nicht erwarten sollte, nicht erwarten „darf" , und doch kann oder will ich nicht anders!

Ich will Dich nicht als „ergebenen Diener" oder als seelenlosen „Lustknaben"; ich will nicht mit den Überbleibseln unserer Liebe leben als ob nichts wäre. Ich möchte Dich ganz – als Mensch mit all Deinen Gefühlen und Gedanken, mit Deiner Empfindsamkeit, Deinen verängstigten Träumen, Deiner Wut, Deinen Hoffnungen, Deinem Suchen ... Du weißt es. Du kennst meine Klagen, und ich weiss, dass sie Dir nicht egal sind. Ich weiss, dass Du alles versuchst und versucht hast, mir in dieser Sache näher zu kommen, das Starre und  Konventionelle in Dir zu „durchbrechen" ... Ich weiss es, und Du weißt, dass es mir „nicht reicht". Es tut mir weh, dies zu sagen, aber es ist so!!! Es reicht nicht.

Ich weiss – Du hast es mir ja oft gesagt – wie viel ich Dir bedeute, wie sehr Du an mir hängst, und doch will ich all diesem heute ein Ende setzen: Ich möchte, dass Du mir "meine Freiheit""zurück gibst, dass Du mich "gehen lässt"" – Ich kann und will Dich nicht zurückstossen, lieber Renzo, ich bitte Dich aber, mich, wenn Du es irgend kannst, ganz loszulassen. Meine Sehnsucht nach einer grossen, vollen Liebe, wie ich sie bei Dir nicht finde, ist zu gross, als dass ich die Distanz, über die wir uns geeinigt haben, länger einhalten kann und will!

Ich möchte nicht, dass unsere  Beziehung in Streit und Verachtung und gegenseitigen Verletzungen endet! Deshalb, lieber Renzo, lass mich gehen. – Du wirst in meinem Herzen immer einen grossen, grossen Platz haben, und wenn Du mich einmal brauchst, ganz dringend und nötig, dann  will ich nicht „nein" sagen, will, wenn es irgend geht, für Dich da sein: Doch mein Leben, das möchte ich wieder ganz für mich haben, möchte mit meinen Gewohnheiten, meinen Träumen, meinen Hoffnungen und Sehnsüchten nicht mehr an Dich gebunden sein! Ich muss -, möchte weiter, obwohl ich  davor manchmal Angst habe und manchesmal gar nicht mehr an dieses „Weiter" glaube ... Versuch es zu verstehen und lass mich gehen!!!