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An Thomas-Maria R., 26. November 2003

Hallo Tomaso! Doch doch doch, es gibt mich noch. Ich lebe, lache, seufze, trinke, esse, scheisse, schlafe, denke und grüble in meiner dicken Nase, während ich am Horizont nach den Zeichen der Zukunft fahnde. Wohin soll es mit mir noch gehen ... Die Finger greifen nach Geheeb, doch der ist weg ...

Ich hatte an sich ja fest vor, zu Deiner Lesung am Sonntag zu kommen, doch ist mein Vater am vergangenen Mittwoch notfallmässig am Herzen operiert worden, und da er danach ein paar eher schwierige Tage auf der Intensivstation hatte, bin ich hier geblieben. Er wurde am Sonntagvormittag auf die normale Abteilung verlegt, wo er noch bis Samstag sein wird. Alles in allem geht's ihm inzwischen wieder wesentlich besser. Der 24-Stundenbetrieb der Intensivstation, den er - von Morphium und anderen Medikamenten beduselt - als Objekt wechselnder PflegerInnen in dauerndem Lärm und Licht zubrachte, war für seine Seele ein ziemlicher Stress, doch wie gesagt, jetzt wächst allmählich alles wieder zusammen, und wenn wir Glück haben, ist er in zwei, drei Monaten wieder ganz gesund und lebendig.

Und Du? Wie ging's in Weil und wie geht's überhaupt? Wie geht's dem Viktor? Hat er Zeit für Philipp oder bleibt dessen Schicksal am Ende unaufgeklärt? Und wie geht es Monique und Thomas? Sind sie glücklich und fruchtbar?

Ich denke über Verreisen, über WGs, Ledersofas und ähnliches nach - die ganze Palette vom aufbruchsmutigen Wanderer bis zum resignierten Rentner! Noch sind die Würfel in meiner Hand. Ich bewege sie leicht und halte Ausschau nach den Zeichen des neuen Lebens. Wie wär's zum Beispiel, wenn ich Dichter würde und der Welt täglich, ja stündlich Werke wie das folgende schenkte:

Ein Bier

mit Dir

das wünsch

ich mir.

Bis dahin lebe wohl,

Dein alter Blumenkohl

Solche Gedichte! Jeden Tag! Das wär doch was! Ciao Du. Ich umdrücke und bisbalde Dich, Martin