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An Klaus und Barbara Z., im Dezember 1995

Liebe Barbara, lieber Klaus! Gestern hab' ich den Nachmittag und Abend mit Hanna Marti zugebracht: Gemeinsames Mittagessen auf dem Üetliberg (bei Zürich), zweistündige Wanderung durch eine ganz wunderbar verschneite Landschaft, lustiger Abend bei gemeinsamen Freunden in Zürich! Während wir so durch den Schnee und die kalte neblige Luft stapften hat sie mir auch vom Tod Eures Kindes erzählt. Und ich wusste noch nicht einmal, dass da eines unterwegs war! - Was für Unglück, jedenfalls was für ein Schmerz für Euch, denn wie sehr habt Ihr Euch, so wie ich Euch kenne, auf das Kleine gefreut.

Ist es ein Trost zu denken, dass es sich die Sache vielleicht in letzter Minute anders überlegt und beschlossen hat, doch nicht - oder noch nicht - zu kommen? Und ist es ein Trost zu denken, dass ihm damit (vielleicht?) auch viel Leid und Kummer auf dieser doch recht leid- und kummervollen Welt erspart geblieben ist? Vielleicht-, doch die Leere und Enttäuschung gehen sicherlich nicht so schnell fort, auch das Hadern, die Fragen, die Verzweiflung, das Trauern. Und jetzt, während der Weihnachtszeit, wo der Alltag stillsteht und überall die Rede von der Geburt eines kleinen Kindes werden all diese Gedanken und Gefühle nochmals ganz besonders aufgeweckt. Ihr beiden lieben Menschen, die Ihr mich und Pina damals, vor 3 oder 4 Jahren so aufmerksam umsorgt habt! Ich grüsse Euch in Eurer Trauer und Eurer Zuversicht, wenn diese zu Zeiten vielleicht auch ganz zerknittert und unbeachtet in irgend einer Sellenecke liegt. Ich hoffe, dass Ihr in Eurem Schmerz nicht allein seid, sondern immer wieder andere Menschen bei Euch spürt, andere Menschen, und das "Leben", das uns trotz Allem immer wieder will und lockt und braucht!

Ich umarme Euch und halte Euch fest und wünsche Euch eine bei allem Schmerz und aller Trauer gleichwohl schöne, gute Weihnachtszeit! Vielleicht führt uns das neue Jahr ja einmal unerwartet oder geplant wieder zusammen?! Vielleicht während des Kongresses in Wien (zu dem ich allerdings zur Zeit keine besondere Lust habe), vielleicht auch sonst einmal. Wenn Ihr jemals in meine Richtung kommt, dann- das wisst Ihr- seid Ihr hier immer herzlich willkommen. Platz une Betten gibt's seit meinem Umzug im Sommer reichlich! Auch wenn Ihr einfach so mal weg wollt aus Graz- eine(r) von Euch oder Beide!-, da gibt's einen Zug, der Euch fast bis zu meiner Wohnungstüre bringt-, einen Zug, den man natürlich- ich weiss es wohl- auch in umgekehrter Richtung benützen kann.

Viele liebe Grüsse und (?) bis bald!

PS: Ich lege Euch noch den (nicht durchgesehen und korrigierten) Entwurf eines Rundbriefes bei, den ich vermutlich nicht verschicken werde, aus dem Ihr jedoch ein wenig mehr von dem erfahrt, was mich in diesem Jahr umgetrieben und was umzutreiben versuchte.